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Lingualpfeife

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Kann Kirche überhaupt digital?

Zu Gast beim Himmelklar-Podcast (ein gemeinsames Projekt von katholisch.de und domradio.de)

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#21 Ludwig M. Jetschke – Kann Kirche überhaupt digital? (Transkription)

In der Corona-Zeit gibt es so viele Live-Gottesdienste und digitale Kirchenprojekte wie nie. Oft geht’s dabei aber mehr um Quantität als Qualität, findet der Experte, der in Online-Kreisen nur als „Lingualpfeife“ unterwegs ist.

Und in unserem Podcast wollen wir jetzt mal auf digitale Kirche schauen. Das ist etwas, das gerade in Corona-Zeiten extrem im Trend ist. Man hat das Gefühl, jeder zweite Priester streamt seinen eigenen Gottesdienst entweder mit großem Kamerateam oder alleine mit der Handykamera. Und digitale Seelsorgeangebote von Blogs über Videokonferenzen über alles mögliche gibt es auch wie Sand am Meer. Wir sprechen mit Ludwig Martin Jetschke, der wahrscheinlich eher bekannt ist als „Lingualpfeife“ in der Online-Community. Er kümmert sich nämlich seit Jahren schon um digitale Kirche.

HIMMELKLAR: Moin. Grüß Dich.

Ludwig M. Jetschke (Kirchlicher Online-Aktivist): Moin.

HIMMELKLAR: Wenn du dir das so anguckst, was im Moment passiert. Ich habe es ja erwähnt, 10.000 Livegottesdienste. Also ich habe den Eindruck, es geht manchmal nicht um Qualität, sondern um Quantität. Wie findest Du das?

JETSCHKE: Ja, da bin ich ein bisschen zwiegespalten, denn das mit der Quantität ist kritisch. Viele lösen erst mal den Live-Button aus und gucken dann, was wird.

Auf der anderen Seite ganz ehrlich: Wir sind doch alle in die Situation hineingeschlittert, da muss man auch ein bisschen gnädig sein. Spannend wird es ja eher, wie wir sozusagen das Pferd von der Kurz- auf die Langstrecke kriegen. Ich glaube, dass da ganz viele, so schnell wie sie die Live-Button gedrückt und die Geräte ausgepackt haben, das wieder rückgängig machen und so tun als wäre nichts geschehen.


HIMMELKLAR: Wenn du dir so anguckst, was da so passiert ist in den letzten Wochen: Hättest Du das erwartet, dass die Leute so reagieren, meinetwegen dass jeder seinen eigenen Livestream macht und wie sie damit umgehen? Oder hättest Du gedacht, dass das nie passieren wird, dass die Kirche so digital wird?

JETSCHKE: Die Kirche und auch die Gesellschaft waren ja in einer Zwangslage. Das betrifft ja auch Vereine und Firmen - Thema Home-Office - und da war nicht mehr so viel mit Auswahl. Und ich sehe es ja auch an den Rückmeldungen.

Ich wurde ja erschlagen mit Anfragen so nach dem Motto: „Hallo Ludwig, Du kannst ja Internet. Zeig mal wie das geht.“ Ich muss sagen, dass ich da ziemlich schnell von genervt wurde, weil da weit und breit Hauptamtliche im Dienst kamen, die mich ganz schön gefordert haben und allesamt nicht im Blick hatten, dass das für mich Ehrenamt und Freizeit ist.

Deswegen habe ich dann auch mal einen Beitrag abgefeuert, der ging so in die Richtung: „Hey, bedenkt bitte, dass ihr in der superluxuriösen Lage seid, in Eurer Dienstzeit aufgeschmissen sein zu dürfen. Für mich ist das Freizeit.“

Das ging dann tatsächlich auch viral und hat dann ein bisschen was bewegt, aber so wie es die Leute jetzt gemacht haben, eigentlich ist es keine Überraschung, weil sie nicht so viel Auswahl hatten.


HIMMELKLAR: Stellen wir uns mal vor, ich bin eine Gemeinde und ich rufe bei Dir an und sage: „Ludwig, Du kannst doch Internet.“ Was sagst Du mir, wie sollte ich gucken, dass ich mich gut mit meiner Gemeinde vernetze?

JETSCHKE: Das Erste wäre mal zu gucken, wer überhaupt meine Klientel ist. Und haben die Internet auch Zuhause? Dann wird man nämlich ganz schnell feststellen, dass die Mehrheit der Gottesdienstbesucher, an die ja jetzt ganz viele Formate adressiert sind, überhaupt keinen Zugang zu dem digitalen Format hat, was da jetzt von meiner Seite aufgelegt wird. Und dann müsste man auch ehrlicherweise fragen: Ist das dann das richtige Format?

Es gibt da auch andere Möglichkeiten. Zum Beispiel weiß ich von einem Pastor in Hamburg, der zwar einerseits Gottesdienste am Sonntag ins Internet stellt, aber gleichzeitig die Gottesdienste vorab auf DVD brennt und in die Haushalte verteilt oder abholen lässt. Zu einer festgelegten Zeit, zum Beispiel um 10 Uhr, läuft der Gottesdienst und die älteren Leute, die kein Internet haben, können sich zu dieser Zeit mit der DVD einklinken. Das wäre zum Beispiel auch eine Idee. Ist nur eine kleine Stellschraube, aber vielleicht schon eine hilfreiche.


HIMMELKLAR: Ich fand es ganz interessant, ich habe letzte Woche den Abt aus Kornelimünster hier im Podcast gehabt und er hat gesagt, dass sie auch ihre Gebete und Gottesdienste streamen. Sie machen das aber ganz simpel nur mit einer Kamera ohne große Effekte. Es geht ihnen mehr darum, dass die Menschen an dem Gebet teilhaben, anstatt sich zu inszenieren. Das ist ja auch etwas, dass Du viel siehst im Moment, oder?

JETSCHKE: Ja, ich würde sagen, die Totale (als Kameraeinstellung) reicht völlig jetzt bei so etwas. Ansonsten wird es gleich schnell kompliziert. Wenn man ins Detail geht, stellt sich vor allem als Erstes die Tonfrage, anstatt die Bildfrage, weil wir verschiedene Orte bedienen. In kleinen Räumen mag das natürlich gehen. In großen Räumen wird es dann schnell schwieriger. Aber logisch, das Thema Inszenierung spielt auch schon immer wieder eine Rolle, wobei ich sagen muss, dass viele vergessen haben zu bedenken, dass eine Inszenierung, meinetwegen auch im kleinsten Kreis, anders stattfinden muss, da gewisse Dinge aus dem großen Kreis nicht mehr funktionieren.

Ich sage es jetzt einmal vorsichtig: Ich weiß nicht, ob es für zehn Quadratmeter Seitenkapelle geboten ist, unbedingt mit Stab und Mitra auflaufen zu müssen. So schön ein pontifikaler Einzug im großen Kölner Dom zum Beispiel ist, da ist eine Inszenierung mit Hofstab vorne dran und am Ende kommt sozusagen der Höhepunkt, auf den ich auch als Organist zum Beispiel hin spiele, dass wirklich der Einzug donnert und inszeniert ist,, aber bei fünf Quadratmetern, Entschuldigung, da wird es irgendwie affig meiner Meinung nach.


HIMMELKLAR: Aber ist es nicht auch wichtig, den Leuten etwas zu geben, woran sie sich festhalten können und denen das gewohnte Bild weiter zu erhalten?

JETSCHKE: Das kann hilfreich sein, aber es kann auch die ganze Ohnmacht des Bischofs offenbaren. Er kann sich noch so viel Zeug umhängen, es nutzt halt nichts, wenn er in letzter Konsequenz nicht den Draht zu den Menschen legen kann. Und dann stellt sich schon die Frage, was zentraler ist. Oder ob es nicht andersrum, das fand ich tatsächlich deswegen bei uns in Würzburg sehr schön, geboten ist auch optisch abzurüsten, um sich da auch ein Stück weit in die Solidarität mit all denen hineinzubegeben, die gerade alle auf die Messe verzichten müssen.

HIMMELKLAR: Also es braucht eine Ansprache, wo man quasi mehr an den Menschen auf der anderen Seite des Laptops denkt?

JETSCHKE: Genau, und auf diesem Feld ist Kirche seit Jahren schon meiner Meinung nach blind. Ich fordere selbst seit Jahren und sage, dass das Internet keine Einbahnstraße ist und man damit rechnen muss, dass die Leute antworten. Und wenn die Leute antworten, dann muss man auch in seiner Dienstzeit Ressourcen haben, sich dem zu stellen. Dann bekomme ich immer große Augen zu sehen, so nach dem Motto: „Sie können sprechen und äußern einfach so im Chat ihre Meinung. Wer hat das ihnen erlaubt?“ Da sind einige Geistliche völlig überfordert. Man fragt sich, in welcher Welt die leben. Seit ihr nun bei den Menschen oder nicht? Aber wenn ihr bei den Menschen seid, dann ist das, was am anderen Ende gesprochen und gedacht wird, sehr wohl konstitutiv. Das müsste eigentlich mein Interesse sein, genau da andocken zu können.

HIMMELKLAR: Und das Bedürfnis zur Kommunikation ist ja groß, wenn man sich mal die Kommentarspalten bei den Livegottesdiensten ansieht, da kommen ja massig Sachen rein, nicht wahr?

JETSCHKE: Ja, das ist ja im Grunde das Feld, das man nur beackern bräuchte. Aber stattdessen, ich habe es auch mal ein bisschen polemisch formuliert, ist noch eine zweite Pandemie ausgebrochen, nämlich die der Infoclips und der Betroffenheitsvideos und der Durchhalteparolen, wo dann in Hochglanzformat produzierte Statements rausgefeuert werden in Hülle und Fülle, die auch kein Mensch mehr verfolgen kann. Aber kein Mensch braucht das, also zumindest nicht in dieser Fülle.

Gescheiter wäre es tatsächlich, Leitungen zu schalten, um direkt mit den Leuten ins Gespräch zu kommen oder meinetwegen auch Liveleitungen zu schalten mit einem gewissen Entertainmentfaktor, um eben Partizipation zu ermöglichen. Der große Haken ist, wer das macht und ein Stück weit Weggemeinschaft anbietet, das ist ja das Konzept bei „Lingualpfeife“, der macht sich auch als Kleriker - und auch als höherer Kleriker - angreifbar und verletzlich. Man muss ja auch von sich etwas preisgeben und das ist natürlich ganz neues Terrain, das man kirchlicherseits viel zu sehr scheut.


HIMMELKLAR: Du bist die „Lingualpfeife“, das sollten wir auch einmal ansprechen. Das ist ein Begriff aus dem Orgelbereich, weil du selber ja auch Kirchenmusiker bist. Du hast das aber einfach als Synonym genommen, um dir eine Community aufzubauen. Du hast zum Beispiel eine Facebook-Gruppe, wo über 700 Leute drin sind, die sich genau bei solchen Fragen austauschen im Moment. Ist da die Mitgliederzahl stark angestiegen, als die Zeit losging?

JETSCHKE: Ja, die Community habe ich nicht in dem Sinne systematisch aufgebaut, sondern sie ist aus meiner Arbeit erwachsen und irgendwann standen wir vor dem Problem, dass wir quasi zwei Tätigkeiten unter einem Label haben, da müssen wir gucken, ob das dauerhaft so bleiben kann. Aber momentan fahren wir jetzt mit dem Begriff „Lingu-Community“ ganz gut. Das Problem ist, dass der Name nichts zu dem sagt, was wir eigentlich machen.

Ja, wir hatten einen deutlichen Anstieg, allerdings auf Discord. Auf diesem Server sind wir interaktiv unterwegs, verrichten auch dort täglich gemeinsam das Stundengebet. In der Regel 06:30 Uhr oder 08:30 Uhr Laudes (Morgengebet), 19:30 Uhr Vesper (Abendgebet), 23:00 Uhr Komplet (Nachtgebet). Das sind so die Achsen. Da sind viele User in Sprachanrufen zusammengeschaltet und zusammengeklickt, die sich vorher auch in einer virtuellen Sakristei treffen um die Dienste einzuteilen, wer eben was macht.

Ansonsten sind wir in Schreib-Chats da noch unterwegs, oder haben noch eine schriftliche Gebetsgruppe in der permanent Gebetsanliegen auch vorgebracht werden. Das findet in Gebetsketten statt: Der Erste schreibt zum Beispiel „Vater Unser“, der Nächste „im Himmel“, der Übernächste „geheiligt werde“, der Übernächste „Dein Name“ und so durchbeten wir den Tag über auch die Anliegen der User und das heißt natürlich, wenn die User Anliegen bringen, dass es dann auch nicht mehr egal ist, was sie da schreiben. Also wenn zum Beispiel jemand schreibt: „Meine Mutter kam heute mit einem Autounfall ins Krankenhaus“: Dann kann ich nicht als Beteiligter in der Community so tun, als wäre nichts. Das heißt, es stellt sich plötzlich auch eine diakonische Aufgabe. Wie kann ich helfen oder in der Situation begleiten? Da ist vor allem ganz viel los.

Und auf diese Weise haben wir in der Community auch über Discord das komplette Triduum Paschale gefeiert, also durchaus auch Messformen. Natürlich ist da nicht möglich, dass alle kommunizieren. Das ist klar, aber trotzdem in Form der Partizipation, dass auch da alle Dienste aufgeteilt waren und werden. So entsteht eine große Feiergemeinschaft, aber spannenderweise unter Leuten, die sich längst kennen, aber über den ganzen Deutschen Sprachraum verteilt sind. Man wird keine Hundert Kilometer fahren müssen, um so schon irgendwo ein Community-Mitglied zu haben. So viele sind wir.


HIMMELKLAR: Und das ist noch einmal etwas anderes als ein gestreamter Gottesdienst, weil die Interaktion mehr eine Rolle spielt?

JETSCHKE: Die Interaktion ist das Konzept. Das heißt, dass wirklich alles, Kantorendienst, Lektorendienst usw. von Usern gemacht werden. Gemeindeparts sind immer so ein bisschen der Haken, weil nicht alle zusammen singen können. Das funktioniert bei den Audiodiensten nicht. Deshalb muss einer immer stellvertretend die „Gemeinde“ sein. Dann ist das ein großes Projekt, wo die Dienste verteilt werden, ganz so wie in einem analogen Gottesdienst auch.

HIMMELKLAR: Aber ihr macht es auch so, dass Ihr euch in der Community auch gegenseitig Fragen beantwortet so zum Thema digitale Kirche.

JETSCHKE: Ach zu allem. Gestern haben wir darüber geredet, wie man am besten Eier zubereitet. Also das ist das sogenannte Stundengespräch, so heißt das Kind momentan. Wenn nach dem Stundengebet noch gelabert wird und das kann häufig bis tief in die Nacht gehen, dann redet man über Gott und die Welt, also alles, was gerade ansteht. Das ist so ein immerwährendes Kontinuum, kreuz und quer durch alle Themen.

Wir haben auch schon Black Stories Bible gespielt zum Beispiel, das war allerdings super langweilig, weil die Leute viel zu schnell die Lösung geknackt haben. Bibel Edition braucht man da nicht zu spielen.


HIMMELKLAR: Also ist das auch nichts anderes als das, was auch analog auf dem Kirchhof passiert, quasi?

JETSCHKE: Ja, ja freilich.

HIMMELKLAR: Ich habe eine Frage, die ich am Schluss immer stelle, aber bei dir wird das ein bisschen einfacher sein, weil es ein positiverer Ansatz ist als bei vielen anderen Gesprächen: Wenn du dir alles anguckst, was im Moment passiert in der Kirche und in der Gesellschaft: Was bringt dir Hoffnung?

JETSCHKE: Ehrlicherweise muss ich sagen, dass vom offiziellen kirchlichen Bereich meine Hoffnung sehr sehr mager ist. Ich erwarte mir da offen gestanden gar nichts, von daher muss ich die Hoffnung erst einmal ein bisschen zerstreuen.

Ich glaube, dass der Tanker Kirche viel zu groß und Träge ist, um ernsthaft Konsequenzen aus dem zu ziehen, was uns eigentlich hier gerade (digital) um die Ohren fliegt. Ich bin aber Christ und hoffe auf den Heiligen Geist und hoffe daher intensiv an dem Punkt, dass ich mich täusche, da hätte ich auch kein Problem, das dann später einzugestehen.

Was mir wirklich Hoffnung macht ist, dass wir durchaus viele junge engagierte Leute haben, die glauben wollen, die in Gemeinschaft Christ sein leben wollen und die sich von dem Abgesang der Kirche, der ständig angestimmt wird, auch nicht irritieren lassen. Ich merke es ja bei uns. Wir machen unser Ding und gehen da durch und lassen uns da auch nicht groß reinquaken.

Ich bin sicher, die Kirche ist jung und hat Zukunft. Wie das dann am Ende institutionell gefasst ist, das sind Rahmenprobleme, da können sich dann gerne irgendwelche Bürokraten drum kümmern. Auch wenn ich trotzdem gerne in der Kirche, in der katholischen Kirche, bin. Das muss ich schon auch sagen.


Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.
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Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch.




Veröffentlicht: 26.04.2020

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