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Lingualpfeife

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Dreitasten-Flügel und Wagner in 0,2 Sekunden

Foto: Nora Gomringer


Als hätte er es instinktiv gerochen, fängt er ruhig, unaufgeregt, ja, durchaus ein wenig knochig an, von seiner Vision eines „Dreitasten-Flügels“ zu erzählen. Man könnte meinen, dabei handelte es sich um etwas völlig Alltägliches, so etwas, wie die siebenunddreißigste, unbedeutende Weiterentwicklung eines Produkts, das schon dreiundsiebzig Jahre auf dem Markt ist. Ein Vorgang, wie er allerorten kontinuierlich geschieht. Und heute ist es eben der „Dreitasten-Flügel“. Möglicherweise eine Weiterentwicklung des „Zweitasten-Flügels“, der aber nunmehr „von gestern“ sein dürfte.

Der Berliner Künstler und Autor Thomas Kapielski, der zurzeit Stipendiat des internationalen Künstlerhauses „Villa Concordia“ in Bamberg ist, provoziert mit seiner Idee. Was sich da anbahnt, klingt eher wie eine Drohbotschaft für den, den der Klangrausch eines donnernden Orgeltutti, von Chamaden, Mixturen, Posaunen und Cimbeln seit Jahrzehnten fasziniert, der es liebt, in die Tasten zu greifen und mit Händen und Füßen hunderte, wenn nicht gar tausende von Pfeifen zum Klingen zu bringen, um das heilige Evangelium, die „Frohbotschaft“ eben, mit einem feierlichen Halleluja im Gottesdienst anzukündigen.

Dreitasten-Flügel. Das sitzt. Unwillkürlich löst er Widerspruch aus und drängt zur genaueren Rückfrage: „Konzertlänge soll der Flügel aber schon haben“, sagt Kapielski, während die Mimik der Anwesenden sich irgendwo zwischen Faszination, Belustigung, Protest und Irritation bewegt. Zweihundertfünfundachtzig Zentimeter, um ein solches Maß zumindest einmal im graphetischen Maximalumfang darzustellen. Womit die nächste Hoffnung prompt erloschen ist, der „Dreitasten-Flügel“ wäre eher eine Idee aus der Rubrik Modellbau. „Ich hab nur bislang keinen Klavierbauer gefunden, der das umsetzen würde“, setzt Kapielski nach, während in manchem Gesicht prompt so etwas wie aufkeimende Erleichterung zu lesen ist.
Gott sei Dank! Die Drohkulisse vom 2,85-Flügel mit 3 Tasten – 2 weißen und 1er schwarzen, die aber gerne, „ähnlich wie beim Carillon, faustbreit sein dürften“, sei der Vollständigkeit halber hier noch angemerkt – scheitert am mangelnden Willen der Klavierbauer, denen das Gespür für unnütze Ideen noch nicht abhandengekommen ist. Allein als Gedankenspiel: Die Bamberger Symphoniker laden zum Konzert. Die mächtige Jann-Orgel der Konzerthalle bleibt verschlossen, dafür sitzt Hausorganist Christian Schmitt einsatzbereit und hoch motiviert am „Dreitasten-Flügel“. Als wäre die – Grundtempo sei Dank – auf weit über 639 Jahre (!) angesetzte Daueraufführung von John Cages „As slow as possible“ in Halberstadt mit ihren berühmt-berüchtigten „Klangwechsel“-Veranstaltungen nicht schon eine verrückte Idee zu viel auf dieser Welt, der sich noch eine weitere dieser Art hinzugesellen müsste. Kapielski war natürlich schon dort und zeigt sich auf Nachfrage bestens informiert.
Inzwischen sind etliche Tage vorüber, Thomas Kapielski längst wieder seiner Wege gegangen, doch der „Dreitasten-Flügel“ ist seither nicht mehr aus dem Kopf zu bekommen. „Wir wollen immer nur höher, schneller, weiter. Alles muss noch größer, noch besser werden und wir befinden uns in einem permanenten Wahn, uns gegenseitig zu übertrumpfen. Da dachte ich mir: Warum nicht mal einen Flügel, der nur drei Tasten hat? Eine wäre ja langweilig, zwei eher farblos. Vier aber zu viel. Drei, dachte ich mir, drei wären eigentlich perfekt. Aber Konzertlänge soll er dann bitteschön trotzdem haben!“


Die Gedanken kreisen und Thomas Kapielski hat mit seiner kühnen Idee schon mehr erreicht, als mancher mahnende Prophet, ganz gleich, ob er nun im Gewand eines Moralapostels, Umweltaktivisten oder Bußpredigers daherkommen mag. Der menschlichen Hybris sind wir
seit eh und je erlegen: Ikaros ist, seit man den Mythos erzählt, schon tausendfach erneut vom Himmel abgestürzt. Daher braucht es ohne Zweifel eine besondere Form der Raffinesse, dieser Gefahr zu begegnen. Ob man dafür aber ausgerechnet Richard Wagners „Ring“ in mühevoller Kleinstarbeit beschleunigen muss, um das Werk anschließend in exakt 0,2 Sekunden, wohl aber in voller Länge abspielen zu können? Thomas Kapielski hat neben dem „Dreitasten-Flügel“ noch weitere Ideen…




Veröffentlicht: 02.02.2018

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